Eine kleine, unspektakuläre Stadt wird im Sommer von Touristen überrannt. Warum?

Woran denkst Du, wenn Du „Highlands“ hörst? Wenn es Dir so ähnlich geht wie mir, dann siehst Du spektakuläre Landschaften, Angus-Rinder, Burgen und dunkle Seen vor Dir. Keine Frage, so sehen die Highlands aus, ich habe es ja kürzlich selbst erlebt. „Highland“ ist aber nicht nur das, was wir aus Diana-Gabaldon-Büchern und deren Verfilmungen kennen.

Invergordon in den schottischen Highlands

Denn, wenn man es genau nimmt, ist „Highland“ eine von den 32 Verwaltungsbezirken (Council Areas) in Schottland, der größte, und er umfasst sieben Grafschaften. Und neben den oben genannten Attributen ist Highland genauso durch Küstenstädte, Kraftwerke oder Ölbohrplattformen gekennzeichnet.

Invergordon und der Aufschwung vergangener Zeiten

Invergordon ist so ein Ort. Ein Ort, der aus dem Ölboom in den 1970er Jahren profitierte. So lange, bis die Ölkrise kam und aus der florierenden Stadt eine „hurting town“ machte, wie es die schottische Boulevardzeitung Daily Record überspitzt formuliert. Der Abzug der Aluminium-Industrie aus Invergordon in den 1980er Jahren tat sein Übriges.

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Ein typischer Anblick auf der High Street in Invergordon – viele Geschäfte machen dicht

Um zu sehen, dass in Invergordon schon bessere Zeiten herrschten, muss ich keine Zeitung lesen, da reicht ein Gang durch die High Street. Was auffällt, neben den zwei neuen Supermärkten, sind eine Vielzahl an Geschäften, die einst florierten, doch die es nun nicht mehr gibt. Zwei Takeaways, die schon lange geschlossen haben, ein Modegeschäft, bei dem man sich nicht mal mehr die Mühe gemacht hat, die letzten Schaufensterpuppen im Tartan-Rock zu entfernen, nicht mehr existierende Cafés, Zeitungskioske und Haushaltsgeschäfte.

Invergordon Sehenswürdigkeiten

Gibt es typische Sehenswürdigkeiten in Invergordon? Richtige Sightseeing Highlights gibt es in Invergordon nicht. Der meist besuchte „Ort“ ist wohl der Invergordon Hafen und viele schaffen es auch nicht viel weiter. Schade, denn die Stadt ist durchaus interessant für alternatives Sightseeing. Ein paar sehenswerte Orte in Invergordon stelle ich dir hier vor.

Lost Place: Ölbohrplattformen in Invergordon

Die triste High Street spiegelt die allgemeine Situation wieder, deutlich sichtbar bereits von weitem durch die „Ghost Rigs“: ehemalige Ölbohrplattformen, die nun ungenutzt im Cromarty Firth stehen.  Im Rande des Städtchens zeugt ein fast gespenstisch anmutendes Areal von der ehemaligen Blüte Invergordons: Öltanks, ehemals genutzt von der Royal Navy, die über viele Jahre hier stationiert war und zu einem großen Maße zum einstigen Wohlstand der Stadt beitrug.

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Ein echter Lost Place: die alten Öltanks in Invergordon

Eine funktionierende Community mit viel Engagement

Wie lebt es sich nun also in dieser Stadt? Es scheint, also würden die Jungen gehen, und die Alten bleiben. Man ist hier stolz auf ihre lange Geschichte, ihren Hafen, und ihre Gemeinschaft. Denn, und das merke auch ich, die ich nur für kurze Zeit zu Gast in Invergordon bin, für eine funktionierende Community scheint hier viel getan zu werden. Es gibt so genannte „Morning Coffees“, bei denen für einen guten Zweck Kaffee und Gebäck serviert wird, es gibt „Men’s Sheds,“ wo sich Senioren treffen können, zur Aufklärung über ihre Gesundheit oder einfach nur zum Reden.

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Das Dalriada hat auch schonmal bessere Zeiten gesehen, Schottland-Souvenirs kannst du aber auch heute noch dort kaufen

Invergordon Museum: es gab schonmal bessere Zeiten

Das Invergordon Museum sieht so aus, als könnte es dringend eine Rundumerneuerung gebrauchen, doch man organisiert hier regelmäßig geschichtliche Spaziergänge. Es gibt einen 18-Loch-Golf-Platz und einen Fußballverein. Eines der wenigen übrig gebliebenen Restaurants, das Crazy Horse, ist der place-to-be in der Highstreet. Zur Lunch- und Afternoon-Tea-Time muss man Glück haben, um einen Platz zu bekommen. Bei meinem täglichen Mittagessen sehe ich, dass hier nicht nur alte Menschen leben, auch Familien mit jungen Kindern, es wird viel gescherzt und gelacht, die „hurting town“ hat ihren schottischen Sinn für Humor und Liebenswürdigkeit beibehalten.

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Kurz bevor das Gewitter losgeht: das Invergordon Museum

Invergordon Whisky

Etwas weiter draußen, in der Wohngegend in der ich mein Häuschen auf Zeit habe, wird wieder gebaut. Im angrenzenden Saltburn stehen Häuser mit großen Fenstern zur Seefront, mit großem, akkurat gepflegtem Rasen im Vorgarten. Die Invergordon Distilleries steht hier seit 1959, wenn der Wind richtig steht, riecht es hier überall nach Whisky. Freiwillige haben einen Woodwalk errichtet, einen Rundgang im Wald, zur Erholung für die Anwohner.

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Whisky Distillerie in Invergordon, leider keine Besucherführungen

Invergordon und die Kreuzfahrttouristen

Im Sommer wird Invergordon von Touristen überflutet. Was die hier wollen, fragst Du Dich? Die Touristen haben keine Wahl, sie müssen hier hin. Invergordon ist ein Hafen, der von vielen Kreuzfahrtschiffen angefahren wird, manchmal legen hier bis zu vier Schiffe pro Tag an. Viele der ankommenden Touristen kommen über das Cruise Ship Terminal nicht weit hinaus. Nachdem sie mit Highland-Folklore begrüßt werden, begeben  sich die meisten direkt in den Bus, der sie nach Loch Ness, Inverness oder zu anderen Sehenswürdigkeiten im schottischen Hochland bringt.

Invergordon Ausflüge

Invergordon ist das Tor zu den Highlands. Von hier aus beginnen viele Ausflugsfahrten in das schottische Hochland. In der näheren Umgebung ist die Glenmorangie Whisky Destilliere, das mittelalterliche Örtchen Tain, die Hauptstadt der Highlands Inverness sowie die Black Isle.

Invergordon: mehr als nur das Tor zu den Highlands

Ein paar engagierte Invergordians versuchen, das zu ändern. Die „Oystercatchers,“ benannt nach dem hier beheimateten Austernfischer-Vogel, stehen den Ankommenden mit Rat und Tat zur Seite. „Wir sind uns darüber im Klaren, dass sie hier sind, um die Schönheiten der North Highlands zu sehen, aber verbringen Sie doch bitte auch etwas Zeit in unserer kleinen Stadt, bevor Sie wieder abreisen,“ bittet Invergordons Tourismusverband.

Invergordon Sehenswürdigkeiten: Da muss man schon ganz genau hingucken

Als ich in Invergordon bin, haben sich die Oystercatchers für diese Saison bereits in die Winterpause verabschiedet. Das letzte Kreuzfahrtschiff, die Norwegian Jade, ist am 22. September ausgelaufen. Zur Einstimmung auf meinen Aufenthalt habe ich ein paar Videos angeschaut, das beste war eines eines amerikanischen Youtubers, der vom Schiff in die Stadt lief, mit der Kamera im Selfie Modus. Ganz unbefangen ging er los, er bräuchte keine Sehenswürdigkeiten, er möge es, an einem neuen Ort einfach nur herum zu laufen und sich treiben zu lassen. In seinem Gesicht ist zu beobachten, wie der anfängliche Entdeckergeist einer Enttäuschung weicht, die er mit seinem amerikanischen Optimismus kaum verbergen kann: Es gibt halt einfach nix zu sehen hier in Invergordon, und dann fängt es auch noch an zu regnen.

Invergordon Sehenswürdigkeiten: der sehenswerte Invergordon Mural Trail und Street Art in Invergordon

Dabei hat er, als er zurück auf das Schiff geht, eine der größten Attraktionen von Invergordon gar nicht gesehen: die vielen Wandmalereien. Der Invergordon Mural Trail besteht aus 11 Wandmalereien, die jeweils von einer anderen Gruppe Einwohnern gemeinsam gestaltet wurde. Neben dem Ziel, die Stadt schöner zu gestalten, war Stärkung der Gemeinschaft Sinn und Zweck der Aktion. Heraus gekommen ist eine Open-Air-Galerie, die das typische Leben in Invergordon veranschaulicht.

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Die vielen Murals bekommen die meisten Kreuzfahrttouristen leider gar nicht zu Gesicht

Was tun in Invergordon?

Ist Invergordon nun Schottlands langweiligste Stadt? Ja, wenn man vom Kreuzfahrtschiff herausfällt und Braveheart- oder Outlander-Landschaften erwartet, oder pittoreske kleine Highland-Städtchen wie Cromarty oder Dingwall, dann mag sich vielleicht eine große Enttäuschung breit machen, so wie beim amerikanischen Youtuber. Man muss als Schottland-Reisender sicherlich nicht zwingend einen Abstecher nach Invergordon machen. Ich gebe zu, während meiner knappen Woche in Invergordon habe ich mehr als einmal sehnsüchtig zum anderen Ufer geschaut, wo auf der Black Isle sonnengeküsst das wunderschöne Städtchen Cromarty liegt.

Invorgordon Tipps

Wenn Du aber mal hier landen solltest, als Tagesausflügler von der Aida, MeinSchiff, Costa Magica oder Disney Magic, dann solltest Du das Städtchen nicht links liegen lassen. Geh ins Crazy Horse auf einer Suppe & Sandwich, genieße eine Tea Time oder ein Mittagessen mit regionalen Zutaten im Ship Inn, stöbere in einem der drei Antiquitätenläden nach unverwechselbaren Mitbringseln, halte am Hafen nach Delfinen Ausschau und schau‘ Dir auf jeden Fall den Mural Trail an!

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Kein Mensch da und ein Blick auf die Black Isle gegenüber: der Strand von Saltburn

Solltest Du länger in Invergordon sein, wie ich, dann kannst Du hier auf jeden Fall ebenfalls eine gute Zeit haben. Mein Ferienhaus in Saltburn hatte einen direkten Strandzugang und ein Schlafzimmer mit Meerblick. Direkt vor der Haustür hatte ich einen Bus, der mich in so interessante Städte brachte wie Dingwall oder Tain, vor desen Toren übrigens die weltbekannte Glenmorangie-Distillerie liegt.

Invergordon in der Nebensaison: viel Zeit für Meer

Seit seiner Gründung im 18. Jahrhundert hatte Invergordon schon einige dunkle Zeiten zu überwinden. Die zwei Weltkriege kosteten vielen der Söhne der Stadt das Leben, wirtschaftliche Krisen und soziale Probleme fügten der Stadt ihre Narben zu.

Invergordon Strand

Wunderschöne Sonnenuntergänge am Strand gibt’s in Saltburn, gleich hinter Invorgordon

An meinem letzten Tag in Invergordon gehe ich wieder an den Strand vor meinem Haus, um den Sonnenaufgang zu beobachten. Ich bin nicht alleine und komme mit Marc ins Gespräch, der hier eine kleine Pause vom Rennradfahren einlegt. Marc ist hier geboren und ist seiner Stadt seit 40 Jahren treu geblieben. Er liebt es hier „schau‘ doch, wie schön es hier ist,“ sagt er und zeigt auf das Meer und die umliegenden Hügel, auf denen gerade erst das Heidekraut verblüht ist. „Langweilig? Nein, langweilig ist es mir hier nicht. Ich habe viel zu tun und immer wenn ich kann, schnappe ich mir das Rad und fahre morgens an der Küste entlang, um diese atemberaubenden Sonnenaufgänge zu beobachten.“ Es ist alles eine Frage der Perspektive.