Wie kommt eine Berliner Stadtpflanze auf die Idee, den Pennine Way zu wandern? Stefanie Röfke verliebt sich in einer schummrigen Bar in Amsterdam in einen Engländer, zieht zu ihm in seine nordenglische Heimat und weiß eigentlich gar nicht so richtig, wo sie denn da überhaupt gelandet ist. Um Land und Leute besser kennen zu lernen, beschließt sie, einmal längs durch England zu laufen, vom Süden bis hoch in den Norden – mit 15 Kilo Gepäck auf dem Rücken. Kopflos auf dem Pennine Way* erzählt von Stefanies großen und kleinen Abenteuern auf dem ältesten und anspruchsvollsten Fernwanderweg Englands. Das ist zugleich lustig und spannend geschrieben und rührt mich das ein- oder andere Mal zu Tränen – warum das so ist, lässt sich bereits im Interview erahnen, dass mir die Autorin gegeben habt. PS: Lesen auf eigene Gefahr. Es kann sein, dass Du gleich danach Dein Zelt und Deinen Rucksack schnappst und Dich auf nach England machst.
Interview mit Stefanie Röfke, Autorin von „Kopflos auf dem Pennine Way“
Ein 15-Kilo-Rucksack…da warst Du ja ganz schön ausgerüstet. Was war das unnötigste Teil Deines Gepäcks?
Das Rucksackpacken empfand ich tatsächlich als kniffligsten Teil der Vorbereitungen, denn ich musste es irgendwie schaffen, so wenig wie möglich mitzunehmen und trotzdem alles dabeizuhaben, was ich für ein Leben in der freien Wildbahn brauchte. Wenn man in den Urlaub fährt, schmeißt man ja normalerweise alles Mögliche in den Koffer und denkt wenig darüber nach, was überflüssig sein könnte. Schließlich muss man das Gepäck nicht kilometerweit selbst umhertragen. Als ich meinen Rucksack packte, musste ich hingegen meine eigenen Gewohnheiten und Bedürfnisse stark infrage stellen. Alles musste auf eine Basisaustattung heruntergebrochen werden, die ich 430 Kilometer auf meinem Rücken über stürmische Gipfel und durch tiefen Schlamm tragen konnte. Statt des Lieblingsduschgels kam eben nur die winzige Kernseife ins Gepäck, die zudem als Waschmittel und Haarwäsche diente. Ich habe also immer auch geschaut, ob sich Dinge doppelt verwenden ließen. Es kam drauf an, an allen Ecken und Enden Gewicht zu sparen. Ich packte meinen Rucksack insgesamt etwa zehn Mal neu und immer wieder trennte ich mich von Ballast. Irgendwann aber wurde die Zeit knapp und ich beschloss, die 15 Kilo, die übriggeblieben waren, einfach mitzuschleppen. Eventuell konnte ich unterwegs noch etwas davon loswerden. Mein Schlafsack war definitiv der schwerste Posten, doch ich brauchte in der beginnenden, kühlen Herbstzeit unbedingt ein dickeres Modell. Daran zu sparen, hätte bedeutet, dass ich mich in den Nächten kaum hätte regenerieren können. Unterwegs stellte ich schnell fest, dass ich tatsächlich noch viele Dinge hätte zu Hause lassen können: ein Mückenspray, das die Viecher eher anzog als vertrieb, eine orangefarbene Schaufel zum Vergraben von Hinterlassenschaften, Wechselschuhe, eine Bürste (bei meinen Haaren irgendwann völlig wirkungslos), meinen Gaskocher konnte ich bei dem Sturm auf den Hügeln ebenfalls so gut wie nicht verwenden. Vieles schleppte ich mit, weil ich dachte: „Wer weiß, ob ich das noch brauchen könnte.“ Heute weiß ich: Wenn du dir nicht hundertprozentig sicher bist, lass den Kram zu Hause!
Wie hast Du Dich auf die Wanderung vorbereitet?
Witzigerweise habe ich tatsächlich angenommen, dass ich da draußen schon irgendwie zurechtkommen werde. Meine Güte, was konnte an so einem Wanderweg schon so schwierig sein? Ich wollte mich einfach überraschen lassen und habe mich eigentlich kaum mit dem Pennine Way auseinandergesetzt. Ich wusste eigentlich nur, dass es eine etwas längere Wanderung wird, als ich es gewohnt war. Körperlich habe ich nur eine einzige zweistündige Testwanderung über unsere Hügel hier in West Yorkshire durchgeführt. Danach war ich so optimistisch, dass ich glaubte, das wäre problemlos machbar. Auch das Kartenlesen und Navigieren mit dem Kompass habe ich anfangs nicht wirklich ernst genommen, da ich annahm, es gäbe schon genug Beschilderungen. Ein fataler Irrtum, wie ich später feststellen musste. Nur mental wollte ich mich gezielter auf die Wanderung einstellen, den Abenteuergeist entfachen. So sah ich einige Dokus über Abenteurer, verschlang Reiseberichte und schaute mir unzählige Youtube-Ratgeber-Videos an. Was meine Ausrüstung anging, so verhielt ich mich eher wie ein Schnäppchenjäger als wie ein wirklicher Outdoor-Profi. Ich sah überhaupt nicht ein, wozu ich mir teure Funktionskleidung kaufen sollte. Der Pennine Way lehrte mich allerdings bald, dass ich es mir auch hätte etwas einfacher machen können, wenn meine Regenjacke tatsächlich wetterfest gewesen wäre. Doch ich glaubte, ein echter Abenteurer braucht solchen Schnickschnack nicht.
Was war der schönste Moment Deiner Wanderung?
Diese Frage ist gar nicht so einfach zu beantworten, denn du kannst dir sicher vorstellen, dass es da draußen unzählige wundervolle Momente gab, denn die Landschaft, durch die der Pennine Way führt, ist einfach durchweg atemberaubend. Aber tatsächlich waren es eher die kleinen Momente, die im Alltag kaum Beachtung finden, die mich berührt haben und die ich wohl nie wieder vergessen werde. Die heiße Tasse Haselnusskaffee in Horton, die Silhouette einer vertrauten Person kurz vorm Zusammenbruch im Moor, das Gefühl von grenzenloser Verbundenheit zur Natur und vieles mehr. Doch an einen ganz besonderen Abend, der mir wirklich ans Herz ging, erinnere ich mich noch sehr gut. Ich hatte gerade einen 32-Kilometer-Marsch hinter mir, bin vor Müdigkeit fast einen Abhang hinuntergestürzt und schlurfte kraftlos und hungrig gen Abend in ein kleines cumbrisches Städtchen namens Dufton. Dort stand ein winziges, urgemütliches Hostel und der Rezeptionist, der gleichzeitig auch der Koch war, lud mich spontan zum Abendessen ein, obwohl nach sieben Uhr für gewöhnlich keine neuen Gäste mehr aufgenommen wurden. Trotzdem bekam ich ein Zimmer und machte mich frisch fürs Abendbrot. Wir saßen zu fünft an einem langen Holztisch und es fühlte sich an, als wäre man nach einem langen, kräftezehrenden Tag endlich heimgekommen. Alles war in warmes Licht getaucht, die Menschen um mich herum nahmen mich in ihre Mitte und dann servierte der Hostelbesitzer in einer schnieken Kellneruniform das wohl unglaublichste Abendessen auf dem Pennine Way. Es gab cumbrische Wurst und als Höhepunkt heißen Apfelkuchen mit Vanillesoße. Ich saß an einem völlig fremden Ort mit unbekannten Menschen und es fühlte sich an, als wäre ich im Paradies gelandet. Ich konnte mir keinen Ort auf der Welt vorstellen, an dem ich lieber gewesen wäre. Das war ein so unfassbar schönes Gefühl, dass ich heute noch mit den Tränen kämpfe, wenn ich an diesen Abend zurückdenke.
Welchen Schwierigkeiten bist Du begegnet?
Die größte Schwierigkeit, mit der ich zu kämpfen hatte, war definitiv mein Leichtsinn, was meine körperlichen Bedürfnisse und Kapazitäten anging. Ich habe in den ersten Tagen kaum gegessen oder getrunken und mich gefreut, dass ich auf diese Weise auch gleich ein paar Kilos loswerden könnte. Eine Rechnung, die natürlich überhaupt nicht aufging und beinahe schlimm ausgegangen wäre. Es war ein langer Prozess, zu verstehen, dass mein Körper meine wichtigste Ressource auf dieser Reise ist. Du musst da draußen gut auf dich achten und regelmäßige Pausen sind kein Ausdruck von Schwäche, im Gegenteil, sie sind eine schlaue Angewohnheit, den nur so kannst du deine Reserven auffüllen und schließlich ans Ziel kommen. Das habe ich eindrucksvoll lernen müssen. Eine weitere Schwierigkeit bestand natürlich in der Beschaffenheit des Wanderweges, der es wirklich in sich hat und mich teilweise auf gefährliche Abwege geleitet hat. Hinzu kommt die Einsamkeit, das Gefühl des Verlassenseins, wenn du tagelang niemanden hast zum Reden. Das ist nicht zu unterschätzen, auch wenn man gern für sich ist. Da draußen wird einem recht schnell klar, dass der Mensch ein durch und durch soziales Wesen ist. Die Herausforderungen bestanden also eher im mentalen als im physischen Bereich. Denn körperlich ist der Trail zu schaffen, wenn der Geist stark und vor allem vernünftig ist.
In wieweit hat Dich diese Wanderung verändert?
Ich glaube, sie hat mich im Grunde weniger verändert, als vielmehr Seiten in mir hervorgekehrt, die bereits da waren, die ich aber so nicht von mir kannte. Ich habe sehr viel über mich gelernt, zum Beispiel, dass ich unglaublich stur bin. Wenn ich mir etwas vornehme, dann muss ich das zu Ende bringen, und zwar genau so, wie ich es mir vorgestellt habe. Ich weiß jetzt aber, dass eine Planänderung ganz und gar nicht schlimm ist und es manchmal gut ist, kurz zurückzufallen, um sich wieder neu aufzurichten. Auch habe ich viel über meine Ängste gelernt. Ich hatte unglaubliche Angst, im Moor zu versinken oder von Kühen zertrampelt zu werden. Da draußen auf dem Pennine Way musste ich mich dem stellen. Es gab keinen Weg drumherum. Ich konnte meine Ängste nicht wegzaubern, aber ich konnte lernen, mit ihnen umzugehen. Mittlerweile weiß ich, dass diese Ängste auch damit zusammenhängen, dass ich die Verbindung zur Natur verloren hatte. Das ist etwas, das ich in mein Leben integriert habe. Inzwischen versuche ich, so oft wie möglich draußen zu sein, weil es einfach gut tut und die eigene Person erdet. Ich habe also unterwegs ganz viele Strategien gelernt, die mein Leben insgesamt leichter und erfüllter machen. Doch ich weiß auch, dass ich immer wieder fortziehen muss, damit die Dinge um mich herum nicht verblassen, den wir alle gewöhnen uns leider viel zu schnell wieder an unsere Umgebung. Dagegen lohnt es sich, immer wieder anzugehen.
Was würdest Du meinen Lesern raten, wenn sie jetzt auch Lust haben, den Pennine Way zu laufen?
Jedem, der jetzt Lust verspürt diesen unglaublich bereichernden Wanderweg zu laufen, würde ich eigentlich nur eines raten: Grüble nicht zu viel, pack deinen Rucksack, klopf dir auf die Schulter und mach dich auf den Weg! So einfach ist das. Für mich hat es sich ausgezahlt, dass ich nicht nur jedem davon erzählt habe, sondern auch einen richtigen Starttermin festgelegt habe. Das funktioniert am besten, wenn man dabei auch schon Geld investiert, indem man zum Beispiel das Flugticket bucht oder die Zugfahrt. Wir müssen uns am Anfang selbst etwas austricksen, sonst kommen uns immer wieder Zweifel und Ausreden dazwischen. So sind wir Menschen einfach. Der richtige Zeitpunkt ist genau jetzt. Dieser Weg wird dir alles abverlangen, du wirst schwitzen und bittere Tränen weinen, aber ich garantiere hoch und heilig, dass er dich für alles mehr als reich entlohnen wird.
Was kommt als Nächstes?
Ich habe mir fest vorgenommen, jedes Jahr mindestens einen Fernwanderweg zu laufen. England hat insgesamt 16 Stück davon. Da bin ich also erstmal gut beschäftigt. Auf meinem Blog kann man meine Wanderungen zudem live verfolgen, denn ich liebe es, abends im Zelt zu schreiben, wenn der Körper am Ende ist, aber der Geist noch rege. Ich bleibe also dran am Wandern, denn meine neue Heimat steckt noch voller Mysterien und unentdeckter Orte, die oft nur zu Fuß wirklich erkundbar sind. Außerdem tut es einfach gut, draußen zu sein, unter wolligen Schafen, die Weite des Moors auf sich wirken zu lassen und das Gefühl zu haben, an einem solchen Ort ein wirkliches Zuhause gefunden zu haben.
Stefanie, vielen Dank für das Interview!
Gewinne ein Exemplar von „Kopflos auf dem Pennine Way“ [Gewinnspiel beendet]
Wenn es Dir so geht wie mir, dann bist Du ebenfalls komplett begeistert von der Autorin Stefanie Röfke und ihrem mutigen Weg entlang des Pennine Way. Das Buch liest sich toll, macht Mut und weckt die Abenteuerlust. Und macht sich sicherlich auch ganz schick unter dem Weihnachtsbaum – absolute Kaufempfehlung! Mit etwas Glück kannst Du auch ein Exemplar von Stefanie Röfkes „Kopflos auf dem Pennine Way – eine Berlinerin in der englischen Wildnis“ gewinnen. Beantworte mir einfach die folgenden zwei Fragen: 1. Warst Du schon einmal fernwandern oder spielst Du mit dem Gedanken daran? 2. Was würdest Du noch gerne von der Autorin wissen? Das Gewinnspiel endet am 15. Dezember um 24 Uhr. (Es gelten die Allgemeinen Teilnahmebedingunen, die Du hier nachlesen kannst).
Kopflos auf dem Pennine Way: Eine Berlinerin in der englischen Wildnis*
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